
Da sitze ich mal wieder an der Tastatur, tippe und freue mich. Wir haben herrlich moderne Zeiten. Es ist 2022, alle sind vernetzt, top aktuell, wir achten auf das richtige "Gendering" und sowieso ist alles bunt und divers. Da gibt es nichts zu meckern.
Wenn... Ja wenn da nicht diese Menschen wären, die trotz aller Modernität nicht anders können, als einen ständig zu verurteilen. Für was? Na für alles. Macht man einen schönen Urlaub, ist das absolut nicht in Ordnung, denn das gewählte Ziel ist entweder zu teuer, zu unsicher, zu heiß, zu kalt oder einfach doof.
Gönnt man sich etwas Schönes, ist das natürlich auch nicht in Ordnung. In jedem Fall ist es nämlich zu kostspielig, macht keinen Sinn, sieht nicht gut aus, ist viel zu groß und überhaupt ist es viel besser, alles zu sparen und sich davon ein Haus zu kaufen in Bottrop-Kirchellen, weil eben alle das tun und entsprechend erwartet wird, dass man dies eben halt auch tut.
Muss ich mich also nun schlecht fühlen? Meine Frau sich schlecht fühlen? Weil wir etwas "anders" machen als Max Mustermann und Joe Jedermann? Weil wir Urlaube lieben, gerne essen gehen und eventuell sogar mal zum shoppen fahren?
Da fällt mir ein Satz ein, den ich mal auf einer Müsli-Packung gelesen habe...
"Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt."
Oha, war gar keine Müsli-Packung, ist das Deutsche Grundgesetz. Frei übersetzt heißt das, ich kann tun und lassen was ich will, solange ich niemanden etwas tue. Vielleicht lebe ich auch schon zu lange in den USA und habe mich an die nicht neidzerfressene und nicht vorverurteilende Gesellschaft gewöhnt, die einfach strikt alles toleriert, solange es mir persönlich gefällt. Egal welchen Urlaub ich mache, welchen Gegenstand ich mir kaufe oder ob ich im Pyjama ins Kino gehe. Muss ja nur mir gefallen und für mich Sinn oder mir Spaß machen.
Und gerade als ich dieses Thema einigermaßen Verdrängt habe, passiert es. Meine Frau lässt sich, oh wie ungewöhnlich, zwei neue Tattoos stechen. Sie teilt diese neue Errungenschaft, wie es ihre Art ist, auf Social Media.
Und es kam, was eben kommen musste. Der Kommentar einer entfernten Bekannten mit den eindringlichen Worten "Nicht im Gesicht??? 😱😱😱😱"
Jetzt muss das nicht jeder gut finden, weder Stelle, noch Design. Wenn mir persönlich etwas nicht gefällt, kann ich etwas sagen wie z.B. "Ich persönlich mag es nicht, aber du fühlst dich wohl damit und das ist alles, was zählt, es schadet niemanden". Mit so einem einfachen Satz kann ich meine Meinung kundtun, ohne die andere Person in ihrer persönlichen Entfaltung zu behindern.
Doch es wird geurteilt, dramatisiert, negative Stimmung verbreitet. Denn sind wir doch mal ganz ehrlich, meine Frau ist ohnehin schon nahezu überall tätowiert. Auf das ein oder andere neue Tattoo kommt es nun wirklich nicht an, das muss man feststellen und beim Glick auf den Kalender bemerke ich zudem, sie ist auch definitiv alt genug, um eine solche Entscheidung zu treffen, die sie im Vorfeld gut überdacht hat.
Zurück also zu dem Kommentar "Nicht im Gesicht??? 😱😱😱😱".
Dazu stelle ich 3 konkrete Fragen:
Bist Du ein enger Freund meiner Famile?
Weißt Du wie, wo und mit wem meine Frau ihre letzten 10 Jahre verbracht hat?
Bist Du einen Großteil ihres Weges mitgegangen und hat sie nahezu jeden Gedanken mit Dir geteilt?
Wenn Du keine dieser Fragen mit "ja" beantworten kannst, solltest Du Dich mit Verurteilungen und anderweitigen Dingen zurück halten, denn niemand muss etwas gut finden außer der Peron selbst und das ist alles was zählt.
Als sie das Tattoo gestochen bekommen hat, gab es hierzu eine sehr interessante Situation mit einer US-Amerikanischen Familie, deren Papa sich ebenfalls stechen lassen wollte. Er sprach mit meiner Frau über die Stelle und fragte sie "wie alt bist Du denn?". Meine Frau antwortete und er erwiderte sofort "Ok alles klar, Du bist definitiv alt genug und im Leben gefestigt und kannst das problemlos machen". So kann es auch gehen.
Weder ich noch meine Frau tun Dinge in der Hoffnung, damit anderen Menschen zu gefallen oder gar Komplimente zu ernten. Was wir tun, tun wir für uns aus guten Gründen und wohl überlegt. Weil es unser Leben und unser "business" ist. Störe dich nicht an Dingen, die nicht an Dir sind zu bewerten und konzentriere Dich auf deine eigenen Baustellen.
Die betreffende Person ruderte zwar recht zügig wieder in ihren Aussagen zurück, was aber bleibt ist mal wieder ein typisches Beispiel, wie schnell man bewertet, beurteilt, dramatisiert und verurteilt wird.
Die moderne Welt ist eben leider doch noch nicht in vielen Köpfen angekommen.
In diesem Sinne, leben und leben lassen!
Euer Bob
P.S.
Ich revidiere an dieser Stelle meine unflätig getätigte Aussage, meine Frau sei eine schlechte Beifahrerin. Ist sie nämlich nicht und ich liebe sie!
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